Die vergessene Mehrheit:
Co-Abhängigkeit – Mitbetroffenheit
Die Begrifflichkeiten „Co-Abhängigkeit“ und „Mitbetroffenheit“ werden immer und dann benützt, wenn es um die Angehörigen, Lebensgefährten, Ehepartner, enge Bezugspersonen oder Kinder von alkoholkranken Menschen geht. Es ist eine zweifelsfreie Tatsache, dass diese Menschen unter der Abhängigkeitserkrankung vom Alkohol ihres Partners zum Teil mehr leiden als der Alkoholiker selbst, der den Trümmerhaufen vor sich gar nicht erkennt.
Kein Alkoholiker wird krank, ohne die Mitwirkung eines ganz spezifischen Umfeldes. Symptomträger wie auch Co-Abhängige bedingen sich und passen wie der Schlüssel zum Schloss. Beide sind gleichermaßen gestört und erfahren sich nur über ihr Gestörtsein. Sie tun alles, damit ihr System weiterbestehen kann, so miserabel es auch sein mag, weil dies, wie sie meinen, ihr Leben sei.
Abhängigkeitserkrankte wie Co-Abhängige, Gestörte wie Co-Gestörte sind wie Hehler und Stehler. Erst wenn einer von ihnen „auffliegt“ kann es zu einer Änderung (Heilung, Genesung) auch des anderen kommen.
Was ist Co-Abhängigkeit?
Co-Abhängigkeit ist schon seit vielen Jahren ein Begriff aus dem Umfeld eines Alkohol – oder Drogenabhängigen mit dem im Allgemeinen der Zustand beschrieben wird, in dem sich der Partner eines Suchtkranken befindet. Demnach kann jeder Mensch der Co-Abhängigkeit verfallen, unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialem Status, Wissensstandes etc. Auch viele andere Sucht-Erkrankungen können eine Co-Abhängigkeit hervorrufen. Dazu gehören auch nicht stoffbezogene Suchterkrankungen.
Wenn man den Begriff Co-Abhängigkeit „seziert“ bleiben die Worte „Co“ und „Abhängigkeit“. Setzt man nun für das Wort „Co“ das Wort „Mit“ ein, so kommt das Wort „Mitabhängigkeit“ und beschreibt etwas besser dieses Verhalten. Mit einer Abhängigkeit bezeichnen wir einen Zustand des nicht mehr Loskommens. Im Grunde genommen egal von was.
Es ist eine Krankheit!
Es ist wichtig zu betonen, dass das was wir Co-Abhängigkeit nennen, in Wirklichkeit eine Krankheit ist, die in vielerlei Formen auftritt und, die aus einem Krankheitsprozess hervorgeht, der eng mit dem Gesellschaftsprozess verbunden ist.
Da man erst seit nicht allzu langer Zeit von Co-Abhängigkeit spricht, haben wir noch keine umfassende Theorie zu diesem neuen Begriff. Das Besondere daran ist, dass er von den Betroffenen selbst geprägt wurde, d.h. von Menschen, die eingestandenermaßen selbst „Co-Abhängige“ sind oder waren – also nicht von Fachleuten, die rein theoretisches Interesse an dieser Krankheit haben.
Wie ist der Krankheitsverlauf der Co-Abhängigkeit?
Unsere Kenntnis vom Krankheitsverlauf der Co-Abhängigkeit wird bis jetzt fast ausschließlich im Gebiet der Suchtkrankheiten verwendet und zwar in Verbindung mit der Abhängigkeitserkrankung von Alkohol. Man erkannte auch, dass die Gefahr eines Rückfalls bei den Alkoholikern wesentlich grösser war, die wieder in eine nicht behandelte Familie zurückkehrten. Eine solche Familie begünstigt nämlich die Sucht weiterhin, indem sie Entschuldigungen für den Süchtigen finden, um so ihre eigene Co-Abhängigkeit nicht aufgeben zu müssen. Deshalb arbeiten Suchtexperten auch mit den Familien, um dadurch die Genesung des Abhängigkeitserkrankten zu fördern.
Therapie auch für die betroffene Familie
Die Familien wurden deshalb umfassend über Alkoholismus aufgeklärt und darauf hingewiesen, dass auch sie selbst behandlungsbedürftig sind – ja krank seien. Wie ihre Krankheit beschaffen war und, wie man sie behandeln könnte, blieb allerdings ein Buch mit sieben Siegeln.
Wie jede Krankheit hat sie einen Anfang (der Punkt an dem der Betroffene sein Leben nicht mehr meistert – gesundheitlich, psychisch oder seelisch), einen voraussehbaren Verlauf (der langsam fortschreitende emotionale, physische, psychische und geistige Verfall) und – wenn sie nicht richtig behandelt wird – ein absehbares Ende (oft den Tod).
Wir wissen heute, dass Co-Abhängigkeit körperliche Beschwerden verursacht, z.B. Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, Geschwüre, hohen Blutdruck und sogar Krebs. Oft sterben Co-Abhängige noch vor dem Süchtigen.
Diese Erkenntnis aus dem Gebiet der Suchtbehandlung führten dazu, dass man heute die Co-Abhängigkeit als ein ernst zu nehmendes Problem und als Krankheit mit einer eigenen Symptomatik erkennt.
(Erschienen im „HALT – Magazin“, 7. Jahrgang, Redaktion Rolf D. Bollmann)
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